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AutorenbildNord-Cast Detlef Arlt

Der Pilion – Zentauren, Tsitsiravla und ein Häuserretter

Aktualisiert: 8. Nov. 2021

Der Pilion ist eine bergige Halbinsel an der Ostküste Griechenlands, ziemlich genau in der Mitte zwischen Thessaloniki und Athen. Für den Massentourismus schlicht nicht geeignet, ist er Urlaubs- und Rückzugsgebiet für Individualisten, die das ursprüngliche Griechenland lieben.

Der Häuserretter nennen sie ihn hier in Kala Nera, einem kleinen Küstenort an der Westküste des Pilion, nicht weit von der Bezirkshauptstadt Volos, „Naja, ist wohl ein bisschen übertrieben“, brummelt Carsten, erfolgreicher Unternehmer aus Schleswig Holstein. Fakt ist, der Bauunternehmer sammelt alte Olivenbauernhäuser, die zu Dutzenden in den

Olivenhainen an den Hängen des Pilion vor sich hin verfallen. „Früher haben die Olivenbauern zur Erntezeit in diesen einfachen Steinhäusern gewohnt und ihre Olivenernte verarbeitet“, sagt Carsten, ein Riesenkerl, der es auch im Urlaub nicht lassen kann, an neuen Projekten zu arbeiten. Heute werden die Häuser nicht mehr gebraucht, sie stehen leer und verfallen allmählich.

Das tut einem leidenschaftlichen Fan alter Gemäuer wie Carsten in der Seele weh. Also begann er in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts einige dieser Ruinen für günstiges Geld aufzukaufen und liebevoll zu restaurieren. „Jedes Mal ein schwieriges Unterfangen, „ seufzt Carsten“, denn die teilweise über hundert Jahre alten Häuser stehen unter Denkmalschutz und die griechischen Behörden nehmen es sehr genau damit.“ Endlose Verhandlungen mit Architekten, Planern und Bürokraten verlangen gute Nerven und ein ausgeglichenes Wesen. Über beides verfügt Carsten und so nennt er inzwischen fast ein halbes Dutzend fein restaurierter Schmuckstücke sein Eigen, die er teilweise auch vermietet.


Doch damit nicht genug. So ein Mann hat Freunde und Bekannte – und wer einmal seinen Urlaub in einem seiner Ferienhäuser verbracht hat, möchte auch so eins – wenn das nötige Kleingeld vorhanden ist. Und so haben im Laufe der letzten Jahre immer

mehr Deutsche bei Carsten ein Haus in Auftrag gegeben – wenn er mal wieder ein neues Objekt gefunden hat. So hat sich im Laufe der Zeit eine kleine Gemeinde von deutschen mehr-oder-weniger-Residenten an den Berghängen des Pilion rund um Kala Nera niedergelassen – meist Menschen in den besten Jahren, viele im Ruhestand oder kurz davor.

Auch ich bin seit einiger Zeit regelmäßiger Gast auf dem Pilion – meine besten Freunde haben sich ein Haus direkt neben der Residenz von Carsten von ihm grundsanieren und wunderschön ausbauen lassen. Man kennt sich, Carsten ist auch Vermieter ihrer Praxis in einem uralten Herrenhaus im schleswig-holsteinischen Bad Segeberg.


Was für ein Blick


„Meerblick mit Panorama ist ein Muss“, darauf besteht mein Freund Achim – und sein Blick ist ein Traum in Technicolor: Fast den gesamten pagasitischen Golf, wie die Bucht heißt, die der Pilion genannte Gebirgszug umfasst, können Achim und seine Frau Susanne überblicken. Für diese Aussicht steigt Achim auch ab und an mal in die Olivenbäume vor seinem Haus, wenn ihm einzelne Äste ins Blickfeld wachsen.

Das Haus meiner Freunde, ein zweistöckiger Feldsteinbau mit zwei Schlafzimmern im Erdgeschoss und einem großzügigen Wohn-Ess- und Küchenbereich mit Traumblick im ersten Stock, sieht aus wie neu. „Dabei war es eine totale Ruine, als wir es 2017 gekauft haben“, weiß Susanne. „Nur die Außenmauern sind stehen geblieben, alles andere haben Carsten und seine Männer neu gemacht.“


Das Beste an ihrem Domizil ist aber die Außendusche, die Carsten in einem riesigen, uralten Olivenfass installiert hat: „Shower with a view“, nennen wir das hier und ist in all seinen Häusern zu finden. Zugegeben, für verwöhnte Hoteltouristen ist diese Art des Urlaubs nichts. Wir liegen ca. 150 Meter über dem Meer, die Zufahrt ist nur über abenteuerliche Erntewege möglich, weshalb die meisten Einheimischen und Residenten auch hochbeinige Geländewagen fahren. Und die werden oft genutzt, denn während der warmen Jahreszeit, also von März bis November, verbringen die meisten Hausbesitzer und ihre Gäste die Zeit unten am Meer, am Strand, in den Bars oder Tavernen von Kala Nera oder unternehmen Ausflüge über den Pilion. Dabei finden auch Residenten, die hier schon seit dreißig Jahren wohnen, immer noch wieder neue Fleckchen vom Paradies, die ihnen bisher entgangen waren.


Der Pilion – Heimat der Menschen mit Pferdehintern


Zentauren, oben Mensch unten Pferd, nennt die griechische Mythologie diese anatomisch bedauernswerten Kreaturen, die ständig unter heftigen Rückenschmerzen gelitten haben müssen, wenn sie den jemals existiert hätten, meint mein Freund Achim. Und der muss es wissen, er ist schließlich Physiotherapeut. Der Pilion soll die Heimat dieser Pferdemenschen oder Menschenpferde gewesen sein, schreibt die Sage. Geografisch liegt der Pilion zwischen Thessaloniki und Athen, landschaftlich gehört er zu den wohl schönsten Gegenden rund ums Mittelmeer. „Die Schweiz Griechenlands“ nennen Tourismusexperten diese Gegend, nur nicht so teuer, nicht so hoch und vor allen Dingen ohne Schweizer und sonst auch nicht mit vielen Menschen bevölkert. Für den Massentourismus eignet sich unser Gebirgszug nicht: die Strände zu klein und zu abgelegen, die Straße zu eng und zu steil und vor allen Dingen stehen große Teile unter strengem Naturschutz.


Eine super Gegend also für Individualtouristen, die das ursprüngliche Griechenland lieben. Vor allem die Griechen selbst machen hier gern Urlaub, denn das Klima ist auch im Hochsommer erträglich, wenn Athen kocht und Thessaloniki im eigenen Dunst erstickt. Dichte Laubwälder aus Buchen, Kastanien und Eichen spenden Schatten, am bemerkenswertesten sind aber sicherlich die riesigen, uralten Platanen, die, gigantischen Sonnenschirmen gleich, die

Platias, also Markplätze, in den meisten der ca. 40 Bergdörfer vor der Sonne schützen. Meine Liebling-Platia findet sich übrigens im Bergdorf Milies. Bis auf ca. 1.500 Meter geht es hinauf, wer die Spitze des Pilio erklimmen will. Im Winter fahren die Griechen dort gern Ski – Lift inklusive.



Geformt ist die Halbinsel wie ein Haken, an seiner Spitze liegt Trikeri, die einzige bewohnte Pilion-Insel. Man kann sie in einer knapp zweistündigen Autofahrt auch über Land erreichen – viel schöner ist aber ein ganztägiger Bootsausflug von Kala Nera aus, inklusive Baden im superklaren Wasser und Siesta in einer Taverne auf Trikeri. Der Pilion ist übrigens, als einziger Landstrich in Griechenland, nie von den Türken erobert worden. Und zwar nicht, weil die Nachfahren der Zentauren so wehrhaft waren, nein, es gab hier einfach nichts zu holen. Zu arm, zu abgelegen und zu dünn besiedelt war die Gegend. Das ist die heute nicht mehr. Zahlreiche Promis und Superreiche, darunter Boris Johnson und Pink Floyd Bassist Roger Waters haben hier ihre Feriendomizile – dazu aber später mehr.


Worum es wirklich geht: Abhängen am Strand

Hallo, was wollen wir denn wirklich, wenn wir gestresst aus Deutschland angeflogen kommen? Na klar: entspannen. Und das geht nun mal am besten am Wasser – und vor dem Wasser ist der Strand. Davon gibt es jede Menge auf dem Pilion, keine Riesenstrände wie in St. Peter-Ording oder auf dem Ballermann. Dafür kleine, feine Buchten, in denen meist nicht viel los ist, außer am Wochenende, wenn die Griechen aus Volos, Larissa oder Thessaloniki zum Kurztrip einfallen. Aber die bleiben meist an den vielen Stränden im Osten. Deshalb ist es an unseren Weststränden eigentlich nie übervoll. Es gibt auch nicht so viele davon – und die wenigen sind nicht so einfach zu erreichen. Ausnahmen: die Strände rund um Kala Nera und Kato Gazea. Aber eine Strandliege unterm typischen Stroh-Sonnenschirm bekommt man eigentlich immer dort.


Unser Hausstrand ist natürlich der in Kala Nera. Kurze Wege ins Wasser, der Service kommt aus der Taverne oder dem Kaffee, die auch die Strandliegen betreiben. Hat man sich seinen Platz gesucht, kommt auch schon eine Paulina, oder Maria oder ein Aristide, meist junge Menschen, die

eigentlich studieren, und fragen nach dem Bedarf. Der Tag am Strand beginnt meist mit einem „Greek Coffee“, also einem Kaffee, bei dem Kaffeepulver und Zucker direkt ins Wasser geschüttet, gut verrührt und dann erhitzt werden. Mein Starter ist stets ein „Frapée medium sweet“, ein im kalten Wasser aufgeschäumter Nescafé, auf Eis mit etwas Milch und Zucker. Herrlich! Ja, und dann wird gesonnt, gelesen, im herrlich warmen Wasser gebadet und Blödsinn geschnackt, wenn einer zum Schnacken vorbeikommt, was meist der Fall ist.

Ja, und dann ist auch schon Zeit für das Mittagsbier – meist ein im eisgefüllten Kühler serviertes „Mythos“ mit gefrorenem Glas. Dazu, wenn der kleine Hunger zwickt, ein Clubsandwich mit Fritten oder ähnliches Strandfutter. Gegen Nachmittag machen wir uns auf den Weg in den Supermarkt, um Nachschub zu besorgen, zum Beispiel den roten Hauswein für 3,60 in der 1,5-Liter-Wasserflasche oder den halben Liter Tsipouro, der örtliche Ouzo, nur besser, direkt vom Kanister in die Halbliter-Wasserflasche abgefüllt. Dazu noch ein paar Tomaten, Schafskäse und alles, was der Urlaubsmensch so zum Überleben braucht. Und das ist meist nicht viel. Natürlich sind wir nicht jeden Tag am Strand in Kala Nera. Es gibt zwei Lieblingsstrände, die wir noch lieber aufsuchen und dafür auch gern ins Auto steigen: Koropi heißt der eine, knapp zehn Autominuten von Kala Nera entfernt. Dort, am Paradisio Beach, begleitet von sanfter Reggae-Musik, serviert uns Paulina den Frapée für „three Euro an fifty minutes“, wunderbar.

Unser Lieblingsstrand aber wird immer noch als Geheimtipp gehandelt, obwohl fast jeder ihn kennt, oder zumindest davon gehört hat: der Strand von Mikró. Aber ins Paradies muss man erst mal kommen. Der Weg nach Mikró ist weit und manchmal steinig. Fast eine Stunde fahren wir von Kala Nera Richtung Argalasti und dann ab durch die Berge nach Südwesten. Das Schöne an solchen Touren: Fast überall auf der ganzen Strecke ist das Meer zu sehen. Und irgendwann stehen wir dann oben am Abhang und unten schimmert die Ägäis.

Nur runter müssen wir. Ich bin froh, dass Achim mit seinem Skoda Yeti diese echt steilen Serpentinen herunterfährt. Der Blick wird immer schöner – sogar die Sporaden sind zu sehen, kein Wunder, ist auch nicht weit. Schließlich sind wir unten – von da ab dürfen wir nur noch Schritttempo fahren, denn es staubt und niemand will von diesem wütenden Gästemob der Taverna Aiolos direkt an der Straße beschimpft werden, wenn man zu schnell fährt, weil deren Essen eingestaubt wird.

Der Strand ist der Hammer, riesig, weiß und feinsandig – allerdings ohne Strandliegen und vorinstallierte Sonnenschirme. Hier bringt man sich sein Strand-Equipment selbst mit, oder bastelt sich abenteuerliche Konstruktionen aus Strandgut und allerlei Liegengelassenem. Es gibt auch keinen Strandservice. Dafür sind Ruhe und Aussicht unbeschreiblich, es ist nie voll hier und es lässt sich herrlich baden, schnorcheln und spaddeln – bis der Wind kommt. Und der kommt meist gegen Mittag, so gegen ein Uhr. Wenn die Sonnenschirme sich allzu arg biegen packen wir ein.

Praktisch, denn natürlich kommt der Hunger und die Taverne Aiolos ist gleich über die Straße. Gastgeber Stathis serviert in seiner nach dem griechischen Windgott benannten Taverne die frischesten und leckersten Köstlichkeiten mit Panorama-Meerblick. Natürlich muss man hier Fisch essen – Kalamari, Oktopus, Sardinas oder den Fang des Tages. Alles kommt direkt vom Fischer. Aber vorher unbedingt die leckeren Vorspeisen, Mezees genannt, probieren. Die sind hier besonders gut. Womit wir beim nächsten wichtigen Kapitel sind.


Die göttliche Komödie: Essen und Trinken wie Zeus und Dionysos.

Klar, wo die Götter Urlaub machen, gibt es auch göttliches zu Essen und zu Trinken. Fangen wir mit dem Tsipouro an. Nein, das ist kein Ouzo, überhaupt nicht. Der Schnaps schmeckt zwar auch nach Anis, ist aber mit dem Standard-Ouzo überhaupt nicht zu vergleichen. Denn Ouzo wird aus Agraralkohol, also wie Korn und Wodka, destilliert und muss immer mit Anis aromatisiert werden.

Tsipouro dagegen wird aus Trester, den Rückständen der Weinherstellung destilliert und kann mit Anis veredelt werden, muss aber nicht. Also ganz kurz; Ouzo gleich Korn, Tsipouro gleich Grappa. Und während Ouzo weitgehend ähnlich schmeckt, gleicht kein Tsipouro dem anderen. Warum? Weil hier jeder sein eigenes Zeug braut und destilliert. Und dabei kommen Geschmacksnuancen heraus, die von Taverne zu Taverne von Markt zu Markt unterschiedlich sind. Mal schmeckt der Tsipouro rauchig wie schottischer Single Malt (mein Favorit in der „Taverna Liostasi“ bei Milies), mal nach Kräutern. Manchmal ist er sanft wie der Abendwind, manchmal brennt er wie die Mittagssonne.


Achims Geschmacksindex sind seine Unterarmhaare: Wenn die sich aufstellen, ist der Tsipouro gut und so sehen seine Unterarme bei unserem ersten, von Susanne mit Wasser und Eis gemixten, Nachmittags-Tsipouro aus Kostas Supermarkt stets wie Igel aus. Und jeder Pilionike ist Kostas stolz auf seinen ganz eigenen Nationalschnaps. Es gibt ihn in jeder Taverne vor und nach dem Essen – meist geht er aufs Haus. Der Wirt genau weiß ganz genau, dass er uns damit nur anfüttert. So auch Kostas, der Eigentümer unserer Stammtaverne „Pagasitikos“ in Kala Nera. Sein Lohn: Jeden Abend wird mindestens ein großer Tisch mit den Bergresidenten belegt. Natürlich direkt am Strand, vielleicht drei Meter vom Wasser entfernt.

Man wird vom Stammkellner Aristide mit Handschlag begrüßt, zum Tisch geleitet und keine drei Minuten später steht der Tsipouro auf dem Tisch. „What would you like to drink“, fragt er mit herrlich griechischem Akzent. Darauf gibt es nur ein einzige, richtige Antwort: „ Misó lítro kókkinou krasioú, parakaló“, also „einen halben Liter Rotwein bitte. Der Mittelteil kann wahlweise durch „lefkó krasi, „also Weißwein“ oder „rosé krasi“ für den Roséwein ersetzt werden. Warum der Rotwein „krasióu“ heißt und die anderen „krasi“, das weiß nur der Griechischlehrer.


Exkurs: dreisprachig radebrechen

Überhaupt, die griechische Sprache: Manche unserer Residenten-Freunde hocken schon seit 30 Jahren auf dem Berg und haben sich einen bestimmten Wortschatz griechischer Phrasen angeeignet. Das wird von den Griechen durchaus wohlwollend honoriert, so wie der nette Grundschullehrer die Erstklässler bei ihren ersten Rechtschreibversuchen motiviert. Ehrlich Leute: Griechisch ist eine höllisch schwer zu lernende Sprache und was Mark Twain über die deutsche Sprache sagte, gilt auch für das Griechische: „Nur die Toten haben genug Zeit, Geduld und Muße, um es zu lernen.“ Also: ein paar Phrasen sind gut, aber fast jeder Grieche spricht ein wenig Englisch oder Deutsch und irgendwie kommt man klar. Carsten, der Bergkönig hat alle seine Häuser dreisprachig radebrechend mit seinen griechischen und albanischen Mitarbeitern perfekt hochgezogen. Die haben fast schon ihre eigene Fachsprache erfunden. Aber zurück zur Kulinarik.


Erster Akt: die Vorspeisen

Früher, als Azubis oder Studenten, sind wir gern zum Syrer gegangen und haben uns eine oder zwei Platten mit „Mezzes“ den hochgerühmten kleinen Vorspeisen gegönnt. Wir hielten das für das Nonplusultra des Genusses. Aber hey Leute, das war, bevor wir den Pilion entdeckt haben. Dort gibt es was Ähnliches, nur viel besser und mit Schnaps: „Tsipouro Mezé“ nennt sich das Programm und die Auswahl hat es in sich. Da werden ohne Ende Köstlichkeiten auf kleinen Tellern serviert. Da gibt es dann allerlei Fischiges, wie eingelegter Oktopus, kleine gebratene Sardinen oder die superleckere in Olivenöl eingelegte, geräucherte Makrele aber auch exotische Gemüse wie Kritama, der griechische Seefenchel, der hier überall an der Küste wächst.

Was Susanne und ich besonders mögen – Achim aber überhaupt nicht – ist Tstsiravla, die im Frühjahr gepflückten, in Essig und Öl eingelegten Triebspitzen des Pistazienstrauchs. Ganz köstlich. In Volos gibt es spezielle Ouzerias, die Tsipouro Mezé anbieten, aber jede Taverne auf dem Pilion hat es im Angebot. Es lohnt sich immer, mit mehreren Leuten einzufallen, dann kann man locker die ganze Karte rauf und runter bestellen. Wir machen es gern so gegen Mittag. Der angenehme Nebeneffekt: Man geht leicht angeschickert und ist bereit für die Mittagssiesta auf der Liege.


Zweier Akt: die Hauptgerichte

Wir kennen die fetten Gyrosplatten, Biftekischlachten und Souflakiduelle von den Griechen aus Deutschland. Gegrilltes gibt es auf dem Pilion zwar auch, aber wer richtig gut und mal anders essen will, bestellt sich Gerichte aus der lokalen Küche – und die ist hervorragend. Fisch spielt dabei eine große Rolle, kein Wunder, denn das Meer beginnt ja knapp hinter dem Restauranttisch. Wir beobachten täglich, wie das Fischerboot am Kai von Kala Nera anlegt und einer von Kostas Mitarbeitern eine große Tüte Fisch in Empfang nimmt. Dann wissen wir meist, was wir abends essen – am besten nach dem „Catch oft he day“ fragen.

Superlecker frisch vom Grill, serviert mit griechischen Kartoffeln, Tsatsiki und einem Salat schmecken Seebarsch und Co ganz hervorragend. Auch die gebratenen oder gegrillten Sardinen mit Pommes sind ein Gedicht, und meist nicht teuer. Unser Lieblings-Fischrestaurant ist sicherlich die Taverna Stefanos in Lefokastro. Bestellst Du Fisch, bittet Stefanos Dich in die Küche und Du suchst Dir aus dem Kühlschrank Deinen Liebling aus, den Du zu verspeisen gedenkst. So einfach geht das hier. Und es schmeckt einfach super, wenn dann auch noch die Sonne im Pagasitischen Golf untergeht.


Der kulinarische König des pilionischen Festlandes ist aber der Schmortopf, „Kleftiko“ genannt. Lamm und Ziege werden mit frischem Gemüse und Kräutern direkt aus dem Garten stundenlang geschmort bis das Fleisch vom Knochen fällt. Das Ergebnis ist einfach köstlich und ein echtes Festessen. Wir durften diese aufwändige Gerichte auf einigen Festen genießen –und auch wer wegen des strengen Geruchs Angst vor Ziegenfleisch hat kann unbesorgt schlemmen. Vom Ziegengeruch ist nichts zu schmecken, wenn das Tier richtig geschlachtet wurde. Denn das Fell der Tiere darf niemals das Fleisch berühren, hat uns Kostas erklärt.


Natürlich werden auch andere Fleischsorten geschmort. „Stifado“ zum Beispiel ist eines unserer Lieblingsgerichte – Rind oder Lammfleisch in Rotwein mariniert, wird mit vielen Schalotten mindestens drei Stunden geschmort, bevor es auf den Teller kommt. Unser Standardessen, wenn wir nach Flug und dreistündiger Autofahrt von Thessaloniki in Kala Nera ankommen. Ein weiteres Schmorgericht, das es bei unseren deutschen Griechen überhaupt nicht gibt, ist „Spetsofai“, mit viel Gemüse und einer groben Bratwurst, die nur auf dem Pilion hergestellt wird. Sollte man unbedingt probieren.

Natürlich ist nicht alles Fleisch und Fisch in der griechischen Küche. Mit Reis gefüllte Tomaten, Paprika oder Auberginen, köstliche, in der Pfanne gebratene Gemüse oder opulente Salate lassen auch passionierte Carnivoren des Öfteren auf ihr heißgeliebtes Fleisch verzichten. Einige Freunde von uns sind seit vielen Jahren Vegetarier – und auch sie schwärmen von der Vielfalt an fleischlosen Speisen in den Tavernen auf dem Pilion.


Exkurs: Do you love Pink Floyd? Dimitri und die Superstars

Eines unserer Lieblingsrestaurants liegt direkt an der Platia von Argalasti, dem Hauptort des südlich Pilion. „Der Mönch“ heißt das Restaurant, das Mama Nicoletta seit vielen Jahrzehnten betreibt. Sie kocht großartige, authentische Küche, es gibt zwar eine Speisekarte, man sollte aber immer den Kellner nach dem Tagesgericht fragen. Und damit sind wir bei Dimitri, Nicolettas Sohn und bekennender Promi-Kenner. Bei unserem ersten Besuch trug ich als alter Fan mein genauso altes Pink-Floyd T-Shirt. Dimitri beäugte mich skeptisch: „Do you like Pink Floyd?“, fragte er. Ich bejahte und gab die Frage zurück. Er rollte mit den Augen und antwortete: „I know them for centuries“. So erfuhren wir, dass „Der Mönch“ seit vielen Jahren die Stammtaverne von Ex-Pink-Floyd-Bassist Roger Waters ist und er die Floyds sehr gut kennt.


Und dann begann er mit seinem herrlich griechischen Englisch zu erzählen: „I am the only person in the universe who can tell Pink Floyd to stop playing and the will listen”. Die Geschichte ging so: Dimitri saß auf der Mole von Kalamos und angelte. Da kam Roger Waters, eine Gitarre unter dem Arm, setzte sich ebenfalls auf die Mole und begann zu spielen. Das passte Dimitri nicht und er bellte Roger an: „Stop playing guitar, you scare my fish!“. Der Superstar gehorchte und das war der Beginn einer langen Freundschaft, die ihn auch in das Haus der Pink Floyds in Kalamos führte.


Eine weitere Anekdote geht so: Eines Tages wollten die Musiker einen griechischen Salat machen, hatten aber keine Zitronen mehr. Deshalb baten sie Dimitri, ihnen einige aus dem Supermarkt zu besorgen. Dimitris Antwort: „You stupid fools, go in your garden and pick one. It is full of lemon trees.” Dimitri hat noch jede Menge dieser Anekdoten auf Lager und er hat sie gern erzählt. Allerdings hatte er Anfang 2021 einen schweren Motorradunfall und liegt seit sieben Monaten im Krankenhaus.


Wir hoffen, dass er bald wieder gesund ist, denn ich möchte noch viele Geschichten von ihm über meine Lieblings-Band hören. Übrigens soll Nicolettas Taverne auch das Lieblingsrestaurant von Comedian und Premierminister-Darsteller Boris Johnson sein. Aber den hat man lange nicht mehr gesehen und irgendwie vermisst ihn auch niemand.


Dritter Akt: die Nachspeisen

Ehrlich gesagt, meist ist nach Vorspeisenteller und Hauptgericht kein Platz mehr im Magen für großartige Nachspeisen – auch bei Nicoletta nicht. Zumal die meisten Wirte ungefragt und unbezahlt eine Kleinigkeit servieren, ein kleines Eis am Stiel, eine Portion griechischer Joghurt mit Honig und Pistazien oder einfach ein paar aufgeschnittene Früchte. Einige Wahnsinnige bestellen sich noch eine Portion Galaktoboureko, der Kampfstern Galaktika unter den Desserts, eine köstliche Mächtigkeit aus Blätterteig, Grießpudding und Sirup. Aber seid gewarnt: Danach nicht mehr im Meer schwimmen, ihr geht garantiert unter, so schwer ist dieses Superdessert.


Zum Abtrainieren: Wandern durch den Pilion

Wer sich bis jetzt sklavisch an meine Reiseanweisung gehalten hat, kommt garantiert mit fünf bis zehn Kilo mehr auf den Rippen nach Hause. Deshalb heißt es bei uns immer, das faule Leben durch ein zwei Wanderungen pro Woche zu unterbrechen. Denn der Pilion ist ein echtes Wanderparadies – Wanderungen mit alpinähnlichen Auf- und Abstiegen sind nicht ungewöhnlich. Die Wanderwege haben übrigens nicht die griechischen Forst- und Naturschutzbehörden angelegt, sondern die Olivenbauern.

Es sind die „Kalderimia“, die gepflasterten Eselspfade, die bis zu tausend Jahre alt sein können. Sie waren die Straßen der alten Pilioniken. Ein ganzes Netz von ihnen überzieht insbesondere die südlichen Pilion und verbindet die Orte. Sollten tatsächlich schon die Zentauren die Kalderimia benutzt haben, können sie keinen Pferdeunterkörper gehabt haben. Denn nur Esel und Mulis können diese holperigen, steilen Stolperpfade bewältigen. Und wer möchte sich einen edlen Zentauren schon gern mit einem Eselshintern vorstellen.


Mit dem Aufkommen der Autostraßen gerieten die Steinpfade in Vergessenheit und wurden oft nicht mehr gepflegt, bis die „Friends of Kalderimi“ kamen. Wanderbegeisterte Griechen und ausländische Residenten taten sich 2008 zusammen, um die alten Kaldrimia zu retten. Sie befreiten sie von Gestrüpp und Unterholz, reparierten was es noch zu retten gab, und ihnen haben wir es zu verdanken, dass es heute wundervolle Wanderrouten durch den südlichen Teil unserer Halbinsel gibt. Sie sind ausgeschildert oder mit roten Punkten gekennzeichnet – aber man muss manchmal höllisch aufpassen, dass man den nächsten Orientierungspunkt nicht verpasst, denn sonst kann man sich rettungslos verlaufen.

Wir schließen uns deshalb meist erfahrenen Wanderern unter den Residenten an, die sich fast alle bei den „Friends of Kalderimi“ engagieren. Steffi und Detlef sind zwei dieser Pfadfinder, mit denen wir tolle Wanderabenteuer erleben durften, zum Beispiel an der Küste entlang von Kalamos nach Horto und zurück. Ein Tipp: unbedingt Halbzeit in der Petrino Taverna Horto machen. Dort gibt es unglaublich leckere Salate.

Ein weiterer Höhepunkt war unsere diesjährige Wanderung von Millies nach Neochori, zwei Bergdörfer, die auf der Straße gut 15 Minuten auseinanderliegen. Allerdings sind sie durch fiese Schluchten und teilweise sehr steile Bergrücken getrennt, so dass wir für die 16 Kilometer gute vier Stunden gebraucht haben. Wer keine Wanderfreunde unter den Pilioniken hat, kann sich den organisierten Touren der „Friends of the Kalderimi“ anschließen, die fast jeden Sonntag organisierte Wanderungen anbieten (Kontakt: www.friendsofthekalderimi.org)


Fazit: Authentisches Griechenland für naturnahen Urlaub ohne Massentourismus

Der Pilion ist sicherlich nicht der richtige Platz für Menschen, die Luxushotels mit riesigen Poollandschaften, Animation und nächtlichem Halligalli schätzen. Urlauber hingegen, die das ursprüngliche Griechenland schätzen, Natur und Ruhe suchen, werden sich ganz schnell in den Pilion verlieben. Und wer weiß, vielleicht wollen sie sich dann ja auch eines dieser alten, verfallenen Katen zu schmucken Feriendomizilen ausbauen lassen. Einfach mal Carsten fragen. Seine Häuser sind unter folgendem Link zu mieten: https://langegbr.com/leistungen/vermietung/Ferienhaus/index.php/




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